Die Wohnungsbaugenossenschaft Kooperative Grosstadt eG entstand 2015 aus einer Initiative junger Architekten. Sie versteht ihre Projekte als soziale, politische und architektonische Beiträge zum Wohnungsdiskurs. Die Wohnungsbaugenossenschaft erwirbt in der Messestadt München-Riem ein Grundstück im Bereich des 2014 aufgestellten Bebauungsplans Messestadt Riem Zentrum Ost und lobt dafür einen offenen, einphasigen Realisierungswettbewerb aus.
Gesucht werden Lösungen, die eine robuste Struktur mit dem Anspruch auf Aneignungsmöglichkeiten durch die Bewohner verbinden. Mithilfe einer selbstbewussten architektonischen Lösung soll dem komplexen Programm des Hauses eine eigene Identität gegeben werden. Neben Wohnungen wird das Haus verschiedene Angebote für gemeinschaftliche und kulturelle Aktivitäten bereitstellen, um die städtische Vielfalt in Riem zu befördern.
Die Wettbewerbs-Jury tagte an zwei Tagen. Aus den Einreichungen traf sie am ersten Jurytag aus 62 Einreichungen eine engere Auswahl aus 14 Projekten. Am zweiten Jurytag, dem 14. Juli 2017, wurde daraus der Siegerentwurf Zürcher Arbeitsgemeinschaft Tim Schäfer, Pablo Donet Garcia und Tanja Reimer erkoren.
Siegerprojekt ArGe Tim Schäfer, Pablo Donet Garcia und Tanja Reimer
Das Haus mit den unterschiedlichen Wohnungen bildet ein einfaches, sechsgeschossiges Volumen entlang der Strasse. Der vom Bebauungsplan vorgesehene viergeschossige Teil ist als selbständiger Trakt daneben gesetzt. Er enthält im Erdgeschoss eine offene, gedeckte Halle, darüber gemeinschaftliche Nutzungen. Damit macht er das Wesen der Genossenschaft zum Platz hin sichtbar.
Das Erdgeschoss steht in der ganzen Länge der Strasse gewerblichen Nutzungen und der Werkstatt zur Verfügung. Der Eingang zum Haus liegt am Platz; er führt zur primären Erschliessung im Inneneck der Anlage: dort führt eine Wendeltreppe und ein Lift zu den Laubengängen, welche die ganze Länge des Hauses einnehmen. Sie sind zum Hof hin offen. An ihrem nördlichen Ende gibt es von der Strasse her zugänglich eine zweite Erschliessung, die unterschiedliche Wege durch das Haus bietet und die Bewegungen vor den einzelnen Wohnungen reduziert – die Laubengänge bilden eher nachbarschaftliche Räume als reine Erschliessungsbereiche. Das Dachgeschoss wird als gemeinschaftlicher Garten genutzt und weist in Aufbauten die dafür erforderlichen Räume auf.
Die tragende Struktur besteht aus regelmässig gesetzten Stützen. Der Aussteifung dienen gemauerte Scheiben im Bereich des Laubengangs – das Gebäude verfügt damit über einen plastisch kräftig ausformulierten «Rücken» zum Hof, an den sich eine leichte Skelettstruktur zur Strasse hin anlagert. Das ergibt einen hohen Grad an Freiheit, die verschiedenartigen Wohnformen in die Geschosse einzuschreiben. Die Stützen sind vermutlich zu schlank gezeichnet, aber sie sind präzise gesetzt und sie werden in den Wohnungen zu einem räumlichen Thema.
Die Wohnungen reichen vom Laubengang durch das ganze Haus, weisen also ein grosse Tiefe auf; ihre Grundrisse sind differenziert in Zonen mit mehr oder weniger Licht gegliedert. Das ergibt die Möglichkeit, die Räume auf unterschiedliche Weise zu bespielen. Die eher individuell genutzten Räume liegen zur Strasse, die gemeinsam genutzten zum Laubengang und zum Hof; dazwischen liegen Zonen, die sich den einen oder anderen zuordnen lassen. Sie sind durch die offenen Räume der Bäder in unterschiedlicher Weise gegliedert. Diese Badräume sind klein, können aber bei Bedarf barrierefrei zusammengefasst werden. Die potentielle Auflösung der Zimmerstruktur bietet Spielraum für andere Arten der Aneignung. Das ist vor allem bei den Basiswohnungen der Fall und entspricht der Idee des Wettbewerbes.
Andere Wohnformen weisen diesen Spielraum noch nicht auf. Die Wohnungen mit «Filialen» unterscheiden sich nicht von den Basiswohnungen; die geteilten Räume werden im viergeschossigen Trakt zusammengefasst und sind allen Bewohnern zugänglich. Damit ist eine interessante Umdeutung hinsichtlich einer potentiell starren Differenzierung der drei Wohnformen der Aufgabe angedeutet.
Die Laubengänge im Hof bringen mit sich, dass die «Schlafzimmer» nach Westen – und zur Strasse – liegen, die «Wohnzimmer» nach Osten orientiert sind. Das steht in einem gewissen Widerspruch zur gewohnten Nutzung solcher Räume im Tagesverlauf. Die Wohnungen weisen aber das Potential auf, solche Gewohnheiten durch eine andere Form der Aneignung der Räume in Frage zu stellen. Allenfalls zeigt auch die weitere Bearbeitung wie bereits angedacht, eine feste Nutzungszuordnung der Räume weiter aufgelöst werden kann.
Vor den Wohnungen weitet sich der Laubengang zu Nischen für den Aufenthalt im Freien. Die Befürchtung, hier gewissermassen «ausgestellt» zu wohnen, scheint dank der zwei Erschliessungen wenig begründet: es teilen sich nur zwei oder drei Partien das Stück eines Laubenganges. Die räumliche Gliederung der Wohnungen erlaubt zudem, sich mehr oder weniger nahe davon aufzuhalten.
Das Haus unterscheidet sich entschieden von den anderen Liegenschaften der Strasse. Seine Fassaden weisen zur Strasse und zum Platz hin zwischen den Geschossen grosse, geschosshohe Verglasungen auf. Dazwischen zeichnen sich Fenster als zwei- und dreiteilige «Gitter» ab. Das bedeutet, dass man gewissermassen im Schaufenster wohnt, besonders am Abend. Es braucht also bauliche Massnahmen, die einen gewisser Schutz der Privatheit sicherstellen. Ob solche Fassaden der Bestimmung des Hauses angemessen sind, wird bezweifelt.
Das Projekt stellt einen sehr interessanten Beitrag dar, in dem es das Haus als eine Gemeinschaft versteht. Das kommt sowohl in der Erschliessung – die mehr ist als reine Funktionsfläche – zum Ausdruck wie auch im viergeschossigen Seitenbau. Hier werden «Plattformen» für verschiedenste gemeinschaftliche Nutzungen geschaffen. Das können sowohl «Filialnutzungen» sein, es aber auch denkbar, dass alle anderen Bewohner daran partizipieren.
Das Haus weist nicht zuletzt deshalb eine grosse, strukturelle Offenheit in der weiteren Bearbeitung auf. Sowohl die gemeinschaftlichen Bereiche wie auch die Gliederung und Differenzierung der Wohnformen lassen sich bis zum Bau – und darüber hinaus – weiter abstimmen und definieren – der forschende Entwurf kann fortgesetzt werden.
Weitere Informationen zum Wettbewerb