Das Resultat des einstufigen Wettbewerbs im selektiven Verfahren versteht sich als Kontrapunkt zur unruhigen Entwicklung einer städtebaulichen Vision. Ein Rückblick auf den Werdegang dieser Vision namens «Métamorphose» lohnt sich, um die Ausgangslage für das Stadion zu begreifen.
Verwaltung krebst zurück
Das ambitionierte Projekt wurde in der vergangenen Stadtlegislatur (2006–2011) von den städtischen Behörden erarbeitet. Aufgeteilt auf fünf Standorte – ganz im Sinn einer Agglomerationslogik – waren für die olympische Hauptstadt zwei Ökoquartiere mit einer Kapazität von 13.500 Einwohnern sowie neue Sportanlagen, lokale öffentliche Einrichtungen und Gewerbegebiete vorgesehen.
Das erste Konzept von «Métamorphose» sah vor, am südlichen Stadtrand in Près-de-Vidy eine grosse Sportstätte aus dem Boden zu stampfen. 2011 wurde ein Wettbewerb mit schwer verdaulichem Programm ausgeschrieben: Fussballstadion, Hallenbad mit olympischen Schwimmbecken, eine Bocciabahn, ein Schulhaus, ein Fussballtrainingsfeld, Parkplätze, Büros und private Nutzflächen von über 100.000 m2. Dieses Projekt gewann 2012 das Team aus gmp von Gerkan, Marg und Partner (Architektur), J. B. Ferrari & Associés mit Tensys Limited (Ingenieure) sowie Hager Partner (Landschaftsarchitekten).
Ende 2012 musste die Stadtverwaltung ihre Vorlage aber überarbeiten. Die Gründe dafür bewegten sich zwischen zu optimistischen Kostenschätzungen, Beurteilungsfehlern beim Schlüssel des zwischen privater und öffentlicher Hand finanzierten PPP – und schlichtweg Grössenwahn. Die vorgesehene «Optimierung» sah dann den Ersatz des Sport- und Privatprogramms von Près-de-Vidy durch ein Ökoquartier vor. Das olympische Schwimmbad wurde an den westlichen Stadtrand nach Malley verschoben, wo die bestehende Eishalle erneuert wird. Schliesslich wurde das Fussballstadion in reduzierter Fassung an den Standort Tuilière versetzt. Dort wird ebenfalls ein Fussballzentrum nach den Plänen des Lausanner Architekturbüros Graeme Mann & Patricia Capua Mann errichtet.
Projekt geht vor Namen
Anderer Kontext, anderes Programm. Der Tuilière-Wettbewerb hat nichts mehr gemein mit demjenigen von Près-de-Vidy. Das Fussballstadion hat mit einer Kapazität von 12.000 Plätzen in etwa die Grössenordnung der Stadien in Thun oder Luzern, und seine Infrastruktur erfüllt den Standard der Super League. Zur Mantelnutzung gehören die Büros des FC Lausanne Sport sowie ein öffentlich genutztes Restaurant. Trotz dem verkleinerten Programm haben sich international renommierte Architekturbüros zum Wettbewerb angemeldet. Unter den zehn Teilnehmern befinden sich drei Pritzker-Preisträger.¹
Das Wettbewerbsergebnis hingegen ist ein Plädoyer für offene Verfahren: Die Jury hat nicht einen berühmten Namen gewählt – was bei anonymen Verfahren letzten Endes Spekulation bleibt –, sondern eine gute Lösung. Unter den komplexen wirtschaftlichen und sicherheitstechnischen Anforderungen entstand ein kohärentes Projekt mit einer starken formalen Geste, die sowohl die Funktionen geschickt beherbergt als auch den vernünftigen Entwurf auf intelligente Weise unterstützt.
Die Bieler Architekturbüros :mlzd und Sollberger Bögli entwickelten das Konzept des «Stade de la Tuilière» zusammen mit den Ingenieuren von Dr. Lüchinger+Meyer aus Zürich. Gemäss den Entwerfern basiert es auf einer «ikonografischen Darstellung eines Pokals». Die vier Eckfaltungen des Stadions bilden den formalen Reiz des Projekts. Unter ihnen entstehen trotz dem engen Projektperimeter grosszügige Räume. Die vier Portiken dienen als überdeckte, öffentliche und multifunktionale Plätze, die den «Dialog zwischen innen und aussen»² thematisieren. Sie lenken die Besucherströme und eignen sich bestens als Notausgänge. Dank der Konstruktion aus Fertigteilen werden die Rohbaukosten tief gehalten: Die Tribünen aus Beton und die Stahlträger des Dachs sind im Werk vorfabriziert. Einzig die Primärstruktur aus Eckscheiben, umlaufendem Zugring und Tribünenscheiben besteht aus vor Ort gegossenen Teilen.
Die Architekten aus Biel haben ein effizientes Projekt geliefert, nach Ansicht der Jury «ein Ensemble, wo alles zusammenhängt, wo nichts fehlt und auch nichts entfernt werden kann, denn jedes Element hat seinen Platz […] Ein Stadion mit starker Identität». Der Ausgang des Verfahrens erinnert an den Wettbewerb für das Musée du Léman von vergangenem Jahr. Dort setzte sich das Lausanner Büro FHV gegen Architekten wie Studio Mumbai, Rudy Ricciotti, Kengo Kuma und Bernard Tschumi durch. Solche Resultate sprechen dafür, dass die Stadtverwaltung sich an offene Wettbewerbe wagen sollte – ohne selektives Verfahren.
Anmerkungen
¹ Rem Koolhaas (OMA), Kazuyo Sejima und Ryue Nishizawa (Sanaa) sowie Eduardo Souto de Moura erhielten den Pritzker-Preis 2000, 2010 respektive 2011.
² Sämtliche Zitate stammen aus dem übersetzten Jurybericht, ausser die Autoren sind genannt.
Cedric van der Poel Co-Leiter espazium.ch
Thomas Ekwall Korrespondent TEC21