Es scheint eine prestigeträchtige Aufgabe zu sein: Rund 200 Büros haben die Unterlagen bezogen. Am Ende lagen dann 136 Projekte vor, die die Jury zu beurteilen hatte. Die Faszination für diesen Wettbewerb lag gewiss in der Möglichkeit, die skulpturalen und monumentalen Seiten der Architektur auszuloten – im Krematorium bietet die Form Halt in der Trauer, und sie drückt das Unaussprechliche aus. Oder um es mit dem berühmten Zitat von Adolf Loos zu sagen : «Die Architektur gehört nicht unter die Künste. Nur ein ganz kleiner Teil der Architektur gehört der Kunst an: das Grabmal und das Denkmal.» Die Nähe zum Grabmal verleitete die Teilnehmenden, mit aufwendigen Visualisierungen das Feld der Kunst zu beackern.
Die Gefahr, in die Pathosfalle zu tappen, war entsprechend gross. Um in die Endrunde zu gelangen, mussten die Teams aus Architekten und Landschaftsarchitekten auch die Fortsetzung des Zitats berücksichtigen: «Alles, was einem Zweck dient, ist aus dem Reiche der Kunst auszuschliessen!»
Ein Krematorium ist ein Zweckbau mit einer klar umrissenen Funktion. Deshalb durchliefen die Projekte eine rigorose Vorprüfung bezüglich Energie und Organisation, denn die neue Anlage sollte dem aktuellen Stand der Technik entsprechen und mit dem Label Minergie-P einem hohen Standard erreichen.
Die Balance finden
Eine kaum zu meisternde Vorgabe, wie die energetische Untersuchung der acht rangierten Projekte ergab: Nur eines erfüllte die Vorgabe Minergie-P ohne weitere Massnahmen. Insbesondere die langen Abwicklungen, die den Charakter des Übergangs vom Leben in den Tod ausdrücken sollen, stehen im Widerspruch zu einer effizienten Hüllkennzahl. Ein weiteres strukturelles Problem liegt darin, dass sich Kühlräume innerhalb des Dämmperimeters befinden und der Aufwand gross ist sie zu temperieren. All diese Aspekte sind akribisch und ausführlich im Bericht festgehalten. Es galt, mehr noch als sonst, die Balance zu finden.
Die Jury schien zwischen diesen Fragen hin- und hergerissen zu sein: Sie würdigt ebenso die Schönheit der Entwürfe, wie sie deren Funktionalität lobt. Dieses Gleichgewicht zwischen Form und Funktion haben Markus Schietsch Architekten am überzeugendsten gefunden. Mehrere Schichten führen vom Friedhofspark bis hin zu den Brennöfen. Sie sind atmosphärisch ebenso schlüssig, wie sie funktional geschickt angeordnet sind. Struktur und Raum überlagern sich, Poesie und Nutzung verschmelzen zu einer Einheit. Diese Stringenz hat den Ausschlag zugunsten des Projekts «Obon» gegeben.
Unter den ersten acht Rängen sind andere Haltungen zu finden, die ebenfalls zu bemerkenswerten Resultaten führen: Insbesondere das Projekt «Angelico» auf dem dritten Rang hat die Jury begeistert. Die aneinander gereihten Tonnendächer evozierten auf zurückhaltende und bescheidene Art eine sakrale Stimmung. Der Bericht schwärmt von der gekonnten Umsetzung der Aufgabe, die «ohne formales Brimborium auskommt» – er schönt aber nicht die funktionalen Schwächen.
Auf dem vierten Platz landete mit «7376» ein Anwärter mit realen Chancen auf den Sieg: Seine Kolonnade erinnert an das Siegerprojekt, jedoch haben die düsteren Räume der Jury wohl ein bisschen Angst gemacht – auch wenn sie sehr schlüssig umgesetzt sind.
Formale Ausreisser finden sich ebenfalls unter den Ausgezeichneten: Auf dem sechsten Rang imitiert «Six Feet Under» die Silhouette der Berge. Während sich über die Form noch streiten lässt, sind die funktionalen Mängel kaum zu lösen.
Die Resultate des Wettbewerbs begeistern. Man wünscht sich, dass andere Aufgaben mit einer vergleichbaren Freiheit im Entwurf angegangen würden.
Marko Sauer Architekt, Korrespondent TEC21