Der Kanton Thurgau scheint dem Basler Büro jessenvollenweider architektur zu liegen: In Frauenfeld konnte es bereits das Haus zur «Alten Farb» sanieren (2007–2008), das Bildungszentrum für Technik erweitern (2007–2011) und das neue Staatsarchiv erstellen (2009–2011). 2014 folgte der 1. Rang für die Erweiterung und Sanierung der Frauenfelder Schulanlage Auen (vgl. TEC21 32–33 2014). Nun steht mit Islikon ein weiterer Eintrag aus dem Thurgau in seinem Palmarès.
Die Schulanlage der Frauenfelder Vorortgemeinde soll umgebaut und um einen Kindergarten und eine Turnhalle erweitert werden: Die Anbauten von 1966 und 1976 müssen weichen und das denkmalgeschützte Schulhaus von Architekt Albert Rimli von 1909 einen würdigen Nachbarn erhalten. Ähnlich wie beim Wettbewerb zur Schulanlage Auen gelingt jessenvollenweider der Spagat zwischen Zitat und Eigenständigkeit. War dort die Nüchternheit der «Solothurner Schule» das Leitmotiv, ist es in Islikon der Charme des neobarock eingefärbten Heimatstils, der mit seinem Anspruch zwischen Reform und Bewahrung gut in die aktuelle Debatte passt: Ein Jahrhundert nach Rimli steht wieder die Annäherung an den Bestand im Vordergrund.
Besonders gelungen ist diese Übertragung im Siegerprojekt bei der Fassadengestaltung. Die grossen Fenster nutzen das Tageslicht und nehmen in ihren Proportionen und in ihrer Anordnung den Rhythmus der Schule von Rimli auf. Die Verkleidung aus Holzschindeln verweist auf historische Beispiele und erlaubt feine Anpassungen in der Geometrie, so zum Beispiel die angedeuteten Abwürfe in den Stürzen. Ähnlich wie bei ihrem 2006 errichteten «Haus V.» verfremden jessenvollenweider die Geometrie der Fassaden, die dadurch eine eigenständige Interpretation lokaler Traditionen erreichen.
Eine weitere Stärke des Siegerprojekts ist seine städtebauliche Anordnung. Der Fussabdruck der drei Gebäude wächst gegen Norden und vermittelt zwischen der kleinteiligen Zentrumsbebauung und den grossen Volumen an der Bahnlinie. Die Aussenräume sind präzise: Der Pausenhof liegt gut proportioniert und schön umrahmt zwischen den beiden Primarschulen und dem Kindergarten, während gegen Norden der Sportplatz ebenfalls von drei Gebäuden gefasst wird: Die beiden Schulhäuser bilden den Rücken, die Turnhalle markiert mit ihrer südöstlichen Kante dessen Ecke.
Das alte Schulhaus steht freigespielt im Mittelpunkt der Anlage – gleichzeitig erhält es mit den drei geschindelten Gebäuden im Hintergrund eine neue Bühne.
Die Grundrisse der neuen Primarschule sind in drei Schichten angelegt. Gegen Osten und Westen liegen je zwei Schulzimmer, die jeweils die Hälfte der sechsachsigen Fassade besetzen, in der mittleren Schicht rahmen die Gruppenräume und Nebenräume ein annähernd quadratisches Treppenhaus ein, das über ein Oberlicht erhellt wird. Die Anordnung nimmt die Haltung der Fassaden wieder auf: Es ist keine Revolution, die sich hier abspielt, vielmehr fügt das Siegerteam bekannte Motive zu einem neuen, kultivierten «Blend». Gerade darin unterscheidet sich das Siegerprojekt von seinen Konkurrenten auf den weiteren Rängen. Während die anderen Projekte bisweilen etwas krampfhaft nach einem tragfähigen Motiv suchen und diesem vieles unterordnen, konzentriert sich «Riemli und Schindle» darauf, zunächst die basalen architektonischen und städtebaulichen Fragen zu klären: Die Volumen sind präzise gesetzt, die Aussenräume gefasst, die Grundrisse funktional. Was das Projekt auszeichnet, ist die Haltung der Entwerfenden, gestalterisch im Hintergrund zu bleiben, den Ball flach zu halten – und dennoch die Zügel für keinen Moment aus der Hand zu geben.
Marko Sauer Architekt, Korrespondent TEC21