Jede Dekade hat ihre Stichworte. Während in den Nullerjahren der Stern der «Nachhaltigkeit» unaufhaltsam stieg, tauchte in unserem Jahrzehnt langsam die «Suffizienz» am Horizont auf. Statt nur die Häuser zu optimieren, sollen nun auch die Menschen selbst durch Genügsamkeit und Begrenzung ihren Beitrag zum Schutz der Umwelt leisten.
Die Stiftung PWG (vgl. unten) verwaltet 1576 Wohnungen, viele davon in typischen Zeilenbauten. In einem Ersatzneubau für zwei Häuser in Zürich Altstetten wollte die Stiftung das Potenzial der Suffizienz ausloten: Die Tugenden von Gründerzeitwohnungen mit ihren Hallen und Wohndielen sollten auf die streng begrenzten Flächen der Zeilenbauten umgelegt werden.
Nach Experimenten zu Clusterwohnungen und luxuriösem Wohnen an extremen Lagen, wie zum Beispiel am Gleisfeld, lenkt PWG für einmal wieder den Fokus auf das Normale. Eine Aufgabe mit wenig Prestige und Anziehungskraft, möchte man meinen – doch die 110 Bewerbungen für den Wettbewerb sprechen eine andere Sprache.
Das Siegerprojekt «Anna Susanna», dessen Name als Palindrom das gespiegelte und durch zwei risalitartige Ausbuchtungen gegliederte Volumen aufgreift, findet eine überzeugende Antwort auf diese Grundfrage. Auf knapper Fläche (5.5-Zimmer-Wohnung auf 105 m²; 4.5-Zimmer mit 85 m²; 3.5-Zimmer auf 66.5 m² respektive 65.5 m²) werden die Qualitäten der Gründerzeit in die heutige Zeit übersetzt.
Die Ausarbeitung ist äusserst elaboriert: die Proportionen der Hallen und die Raumbeziehungen zu den angegliederten Küchen und Nebenstuben sind ausgefeilt. Es ist der Abgabe von Fiederling Habersang anzumerken, dass sich das als Nachwuchsteam nominierte Büro mit Akribie und Leidenschaft an die Aufgabe machte. Die Grundrisse sind dabei ebenso effizient wie sie eine lichte und wohnliche Atmosphäre versprechen. Die Sprache bleibt zurückhaltend und unaufdringlich: Ohne grosse Gesten ringen die Architekten der Suffizienz eine räumliche Qualität ab, mit lediglich zwei Treppenhäusern bleibt die Erschliessung sehr klein. Damit leisten sie einen wesentlichen Beitrag zur Debatte und beweisen, dass auch der wenig luxuriöse Sektor ein anregendes planerisches Potenzial bietet. Im Vergleich zu den ausgearbeiteten Grundrissen erscheinen die Fassaden noch schematisch, doch sind sie von der gleichen Motivation getrieben, sich unaufdringlich in den Kanon des preiswerten Wohnens einzuordnen.
Auf dem zweiten Rang zeigen Chebbi Thomet Bucher Architektinnen mit GMS Partner eine ähnlich einfühlsame Lösung auf Anstelle von zwei Ausbuchtungen schlägt das Team eine Gliederung des Volumens in drei Teile vor, die sich auch in einer Erschliessung über drei Treppenhäuser äussert. Eine gut geschnittene Halle, in die etwas verloren eine Zeilenküche integriert ist, besetzt das Zentrum. Der Bezug zu den benachbarten Räumen scheint anregend, aber nicht so zwingend zu sein wie beim Siegerprojekt. In den südlich ausgerichteten Erkern – bei «Anna Susanna» liegen dort die Küchen der grossen Wohnungen – sind bei «Gecko» die Nebenstuben untergebracht. Die Arbeit an den Grundrissen ist nicht so weit getrieben wie beim Siegerprojekt, dafür ist die Gestaltung der Fassaden entschlossener und in ihrem Ausdruck weiter gediehen.
Auf dem dritten Rang wartet das Büro BHSF mit einer sehr realen Variante der Normalität auf. Die jungen Architekten scheinen ihre Recherchen aus Belgrad (vgl. TEC21 24/2014) nach Altstetten zu transferieren: Ein unprätentiöser Hinterhof mit offenen Parkflächen spielt mit vertrauten Bildern, ebenso das flache Giebeldach. Wie das Siegerprojekt beschränkt sich «Ulysses» auf zwei Treppenhäuser. Dies führt zu Verdickungen an den Enden des Hauses mit einer gezackten Gebäudekante, aus der die Balkone herausragen. Im Zentrum steht auch hier ein hallenartiger Raum mit einer Zeilenküche – doch die Umsetzung zeigt weniger Präzision als die Projekte auf den beiden ersten Rängen. Korridore nehmen den Hallen ihre Qualität, und die Beziehungen zu den benachbarten Räumen beschränken sich auf konventionelle Lösungen. Die Grundrisse sind kammerartig und lassen keine übergeordnete Idee aufblitzen.
Das Experiment der PWG ist gelungen und wird zur Nachahmung empfohlen: Solche Projekte verbinden den Begriff «Suffizienz» mit der Lust am räumlichen Experiment – und der Verzicht wird zum Gewinn.
PWG
Die Stiftung zur Erhaltung von preisgünstigen Wohn- und Gewerberäumen der Stadt Zürich (kurz: Stiftung PWG) ist eine gemeinnützige, öffentlich-rechtliche Stiftung der Stadt Zürich. Die Gründung geht auf eine Volksinitiative von 1985 zurück. Sie bezweckt, preisgünstige Wohnungen und Gewerberäume zu erhalten und zu schaffen. Sie bewirtschaftet in 134 Liegenschaften rund 1600 Wohnungen und 300 Gewerberäume.
Marko Sauer Architekt, Korrespondent TEC21