Die Oberalpstrasse in der Surselva ist Bestandteil des schweizerischen Hauptstrassennetzes. Der Abschnitt zwischen Rabius und Sumvitg ist nicht mehr auf der Höhe dieser Aufgabe und soll mittels einer Brücke über die Val Mulinaun begradigt werden.
Die Abteilung Kunstbauten des Tiefbauamts Graubünden schrieb für die rund 200m lange Brücke einen Projektwettbewerb mit Präqualifikation aus. Die Geometrie der künftigen Strassenführung war durch ein genehmigtes Auflageprojekt vorgegeben. Insbesondere Qualität, Wirtschaftlichkeit und Umweltverträglichkeit der Projekte wurden bewertet. Die Teilnehmer sollten die gestalterische Einbettung in die steile Tallandschaft, die Lawinengefahr im Talboden (300-jähriges Ereignis) sowie den Baugrund mit anstehendem Lockermaterial berücksichtigen.
Für die Präqualifikation wurden 37 Projektideen eingereicht, die ein breites Spektrum an Typologien aufwiesen. Sprengwerke, Lösungen mit Y-Pfeilern, aufgelöste Bögen sowie die schwächeren Entwürfe wurden von der Jury ausgeschieden. Sechs Teams aus Ingenieuren und Gestaltern arbeiteten ein reduziertes Vorprojekt ihrer Idee aus. Die Jury selektierte drei davon für die engere Wahl und liess für die Schlussbeurteilung ein Modell davon erstellen. Siegerprojekt wurde eine Bogenbrücke, die sich gekonnt konstruiert und elegant in die Landschaft einpasst.
Spitzbogen nach Melan
Die Bogenlösung ist optisch sinnvoll, aber geometrisch nicht trivial: Die gekrümmte Strassenführung widerspricht der statischen Wirkung des darunter liegenden Bogens, der möglichst eben bleiben sollte. Zudem müssen die hohen Kämpferlasten schräg ins Gelände auf der Seite Rabius eingeleitet werden; ein Bedenken, das erst am Modell beseitigt werden konnte. Dafür wirkt die komplexe Geometrie dynamisch und lebendig, ohne dass einzelne Bauteile als störend empfunden werden. Die Autoren haben also die vorgegebene Strassenführung gut gemeistert, hätten sie aber nach eigener Aussage gern selbst gestaltet.
Die Jury war vom Bauablauf in Melan-Bauweise¹ mit Stahlrohrprofilen nicht restlos überzeugt: Sie bemängelte die Steifigkeit des Fachwerks im Bauzustand sowie seine geringe Wirkung im Endzustand. Die weitere Projektierung wird zeigen, ob ein konventionelles Lehrgerüst mit Vorbauwagen vorgezogen wird.
Alternative: Balkenträger
Beim zweitplatzierten Entwurf konnte die Anzahl Pfeiler minimiert werden. Dafür war das Verhältnis von Haupt- zu Randspannweite nicht ausgewogen und die Gestaltung auch sonst zu behäbig. Im Gegensatz dazu bestach der Drittplazierte durch seine aussergewöhnliche Schlankheit, die zugleich als Risiko empfunden wurde: Eine voraussichtlich notwendige Verstärkung einzelner Bauteile würde die Qualität des Entwurfs grundsätzlich infrage stellen.
Die ausgezeichneten Projekte wurden hinsichtlich ihrer Umweltverträglichkeit und Wirtschaftlichkeit als gleichwertig betrachtet. Angesichts der bekanntlich hohen Lehrgerüst- und Schalungskosten für Bogenbrücken – insbesondere bei einer solchen Form – mag diese Aussage überraschen. Sollte sich die Konkurrenzfähigkeit bestätigen, könnte die Bogenbauweise neuen Auftrieb bekommen.
Anmerkung
1 Die Melan-Bauweise, genannt nach dem tschechischen Ingenieur Joseph Melan (1853–1941), bezeichnet einen Bauablauf für Betonbögen: Ein Stahlfachwerk dient als Lehrgerüst, an dem die Schalung aufgehängt wird. Das Fachwerk wird im Bogen einbetoniert und fungiert im Endzustand als Bewehrung.
Text: Thomas Ekwall, Korrespondent TEC21